Blätter aus der Kostufra
bauhaus 11, Titelblatt und Blatt 8, Typoskript, 1932, Stiftung Bauhaus Dessau, I 8460/1-8 L

Internationale Tagung zur Zeitschrift der Kommunistischen Studentenfraktion (Kostufra) am Bauhaus

Im Rahmen des Forschungsprojekts Bauhaus im Text veranstaltete die Stiftung Bauhaus Dessau am 10. und 11. Februar 2022 die internationale Tagung „Zwischen ästhetischer und politischer Avantgarde am Ende der Weimarer Republik: Die Zeitschrift der Kommunistischen Studentenfraktion (Kostufra) am Bauhaus Dessau und Berlin 1930–1932“. Mit dieser Konferenz erfuhr das Thema erstmals eine eingehende wissenschaftliche Erörterung. Die 13 Beiträge, die überwiegend aus einem Call for Papers hervorgegangen waren, ließen eine vorher nicht bekannte Breite inhaltlicher und methodischer Zugänge zum Thema der Konferenz deutlich werden. Zu der im Bauhaus Museum Dessau hybrid veranstalteten Tagung hatten sich mehr als 100 Interessenten für die Teilnahme per Zoom angemeldet.

Zu den Bemühungen der KPD, an Hochschulen Einfluss zu gewinnen, gehörte 1922 die Gründung der Kommunistischen Studentenfraktion (Kostufra). Am Bauhaus entstand 1927 eine Zelle, in der mehr als 20 Studierende aktiv waren. Unter dem Titel bauhaus. sprachrohr der studierenden. organ der kostufra veröffentlichten sie von 1930 bis 1932 eine eigene Zeitschrift. Darin nahmen sie, weitgehend die Sichtweise der KPD wiedergebend, polemisch zu Ereignissen und Entwicklungen am Bauhaus sowie in Politik und Gesellschaft Stellung. Im Rahmen der Tagung diskutierten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen verschiedener Disziplinen über linke Kulturpolitik in der Weimarer Republik, die Auseinandersetzungen um ästhetische und politische Avantgarden der Zeit sowie die Rezeption dieser Debatten im Nachkriegsdeutschland. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Bauhaus im Text“ der Stiftung Bauhaus Dessau wird derzeit unter anderem eine kritische Edition der Zeitschrift der Kostufra erarbeitet, die im Herbst 2022 in digitaler Form und in einer Buchausgabe erscheinen wird.

Die Direktorin der Stiftung Bauhaus Dessau, Barbara Steiner, erläuterte in ihrer Begrüßung den Zusammenhang der Tagung mit dem laufenden Projekt zum textlichen Erbe des Bauhauses. Sie benannte außerdem den Bezug zum Jahresthema „Hygiene“ der Stiftung für 2022. Die Ambivalenz der Forderung nach (sozialer) Hygiene, wie auch die Kostufra sie vertrat, bestand darin, dass sie oftmals zugleich die Ausgrenzung bestimmter Personengruppen bedeutete. Der emanzipatorische Ansatz dieser Auffassung von „Hygiene“ lief stets Gefahr, einen menschenverachtenden Charakter anzunehmen. Wolfgang Thöner, Sammlungsleiter der Stiftung, wies in seiner Einführung darauf hin, dass es bisher nur eine geringe wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema der Tagung gegeben habe. Überdies sei man auch in der DDR trotz ideologischer Nähe bisweilen zu Fehleinschätzungen der Kostufra gelangt.

Die erste Sektion, moderiert von Regina Bittner (Dessau), widmete sich dem Thema „Der politische und kulturelle Richtungskampf in der KPD, die Kostufra an deutschen Hochschulen und das Bauhaus“. Marcel Bois (Hamburg) sprach über die 1922 von der KPD gegründete Kommunistische Studentenfraktion, die auch aufgrund einer insgesamt sehr lückenhaften Quellenlage bisher nicht eingehend erforscht wurde. Er beschrieb den zentralistischen Aufbau der Organisation, ihre publizistischen Bemühungen und ihr relatives Erstarken in den frühen 1930er-Jahren. Er konnte zudem auf Grundlage neu erschlossener Quellen die Kostufra am Bauhaus Dessau genauer in den reichsweiten Kontext einordnen. Der Vortrag von Patrick Rössler (Erfurt) ermöglichte ebenfalls, das Dessauer Geschehen vor einem weiteren historischen Hintergrund zu verstehen. Er entfaltete aus Sicht potenzieller Rezipienten der Zeit ein Panorama der linksgerichteten Illustriertenpresse der Weimarer Republik, speziell der frühen 1930er-Jahre. Aus medienhistorischer Perspektive bewertete er die von ihm als „Zirkular“ eingeordnete Zeitschrift der Kostufra am Bauhaus in diesem Zusammenhang als ein bescheidenes Element. Er konnte dennoch Beispiele für die zeitgenössische Wahrnehmung der Zeitschrift, so 1931 in der Arbeiter-Illustrierte-Zeitung, anführen. Soonim Shin (Wien) legte an einem Fallbeispiel, der Zeitschrift des Volksverbandes für Filmkunst, ergänzend dar, wie auf dem Gebiet der Volksbildung und -aufklärung ein Projekt, das Potenzial für ein Bündnis zwischen Kommunisten und bürgerlichen Intellektuellen zu bieten schien, schließlich an der Haltung der KPD-Parteiführung scheiterte. In der anschließenden Diskussion wurden die Bedeutung des Bildes in der Presse der Weimarer Republik, die Bedingungen der Bildproduktion und auch die Frage, auf welche Weise die Zeitschrift der Kostufra am Bauhaus vertrieben wurde, behandelt.

Die zweite Sektion, die sich mit der „Kritik der Lehre, der Architektur und der Kunst am Bauhaus in der Zeitschrift der Kostufra“ befasste, wurde von Annemarie Jaeggi (Berlin) geleitet. Peter Bernhard (Erlangen-Nürnberg) untersuchte die Kritik der Kostufra an den Gastvorträgen, die am Bauhaus gehalten wurden. In der Zeitschrift wurden zwar nur die Vorträge von Amédée Ozenfant, Otto Neurath, Johannes Riedel und Helmuth Plessner aufgegriffen, dennoch war damit ein breites Spektrum an Professionen und Disziplinen abgedeckt. Die Kritik richtete sich vor allem gegen bürgerliche Auffassungen der Soziologie, der Psychologie und anderer Wissenschaften. Eine Trennung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und politischem Handeln lehnten die kommunistischen Studierenden des Bauhauses ab. Magdalena Droste (Berlin) analysierte die Architekturdebatten innerhalb der Kostufra, wie sie anhand ihrer Zeitschrift nachvollzogen werden können. Wohnen, Architektur und Städtebau wurden dort nur selten thematisiert. Die Kostufra versuchte, wie sich besonders für das Jahr 1931 feststellen lässt, vor allem anhand von Beispielen aus der Sowjetunion Debatten um Themen der Architektur für die parteipolitische Agitation brauchbar zu machen. Im zweiten Teil ihres Vortrags ging die Referentin auf die Planung der Siedlung Fichtenbreite in Dessau ein, die 1931 am Bauhaus unter der Leitung des Dozenten Ludwig Hilberseimer von einem studentischen Kollektiv als Projekt bearbeitet wurde. Wolfgang Thöner (Dessau) diskutierte die Positionen der Kostufra zur Kunst, wie sie sich in der Zeitschrift widerspiegeln. Er skizzierte zunächst die Debatten über die Rolle der Kunst, die in der offiziellen Zeitschrift des Bauhauses geführt wurden. Trotz mancher Konfrontation handelte es sich um dialogisch geführte Auseinandersetzungen. Vor diesem Hintergrund erscheint der Ton in der Zeitschrift der Kostufra als scharf und unversöhnlich. Die dortige Kritik richtete sich gegen eine Auffassung, die Kunst nicht als Waffe im Klassenkampf verstand, und generell gegen Vertreter einer „bürgerlichen“ Kunst wie beispielsweise Amédée Ozenfant. In der Diskussion zum Abschluss der Sektion wurde das Jahr 1930 als ein „Wendejahr“ in der vonseiten der Linken um Kunst und Architektur geführten politischen Auseinandersetzung und ihrer Haltung gegenüber der SPD und bürgerlichen Demokraten thematisiert. Festgestellt wurde außerdem, dass sich eine Mitgliedschaft in der Kostufra und eine Autorschaft hinsichtlich der Beiträge in ihrer Zeitschrift nur in wenigen Fällen zweifelsfrei feststellen lässt.

Der zweite Konferenztag begann mit der von Ines Weizman (London) moderierten Sektion, die einen genaueren Blick auf die Akteure der Kostufra, namentlich die linksgerichteten Studierenden am Bauhaus, warf. Unter dem Titel „Die zur Kostufra und ihrem Umkreis gehörenden Studierenden“ wurden verschiedene einzel- und gruppenbiografische Ansätze vorgestellt. Sandra Neugärtner (Erfurt) nahm einen 1931 in der Kostufra-Zeitschrift erschienenen Aufruf an die Studierenden, „Arbeiterfotografen“ zu werden, zum Ausgangspunkt ihrer Betrachtung von Bauhäuslern, die 1929 in Dessau eine entsprechende Gruppe gegründet hatten. Ziel der „Arbeiterfotografen“-Initiative war es, einer aus Sicht der KPD bestehenden Verunklärung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch eine „bürgerliche“ Fotografie entgegenzutreten und fotografische Kenntnisse im Dienst des Klassenkampfs einzusetzen. Elizabeth Otto (Buffalo) ging den Spuren einiger Kostufra-Mitglieder nach, die in der Weimarer Republik und in den Jahren nach 1933 Widerstand gegen die Nationalsozialisten leisteten. Sie diskutierte, mit einem Fokus auf Willi Jungmittag, die Möglichkeiten und die Formen widerständigen Verhaltens sowohl in Deutschland als auch aus dem Exil heraus. Anke Blümm (Weimar) konzentrierte sich in ihrem Vortrag auf eine „vielschichtige Gruppe“ von knapp 30 Studierenden, die aus Polen stammten. Generell besaß das Bauhaus eine besondere Anziehungskraft auf Studierende aus Ostmitteleuropa, darunter vor allem solche aus Ungarn, Polen, Jugoslawien und der Tschechoslowakei. Dass fast alle von ihnen mit polnischer Staatsangehörigkeit zugleich jüdisch waren und der Kommunismus für viele von ihnen attraktiv war, lässt die besondere Struktur dieser Gruppe erkennen, die nicht einfach zu kategorisieren ist. Ronny Schüler (Weimar) sprach über die Kostufra, ihr Umfeld und Palästina als Emigrationsziel. Einige der zu dieser Gruppe zählenden Studenten wie Arieh Sharon, Chanan Frenkel und Shmuel Mestetchkin waren bereits Jahre zuvor aus Osteuropa beziehungsweise aus Deutschland in das britische Mandatsgebiet Palästina emigriert und kamen für ein Studium an das Bauhaus in Dessau. Vor allem den Werdegang von Sharon und Mestetchkin charakterisierte der Referent als „Musterlebensläufe“ eines sozialistischen Zionismus (im Unterschied beispielsweise zu praktischem oder religiösem Zionismus).

Die vierte und abschließende Sektion, moderiert von Katja Leiskau (Frankfurt am Main), war der Rezeption der Kostufra in der Bauhausforschung gewidmet. Regina Bittner (Dessau) richtete den Fokus auf die kommunistische Kunsttheoretikern Lu Märten, deren Hauptwerk Wesen und Veränderung der Formen/Künste auch am Bauhaus wahrgenommen wurde. Märtens Thema, eine historisch-materialistische Fundierung der Kunsttheorie, führte zu einer Auseinandersetzung mit dem Publizisten Ernst Kállai, der zeitweilig für die Redaktion der offiziellen Zeitschrift des Bauhauses verantwortlich war. Auch zur KPD-Position stand Märten, die sich für eine Produktionsästhetik und nicht für eine Arbeitererziehung aussprach, im Gegensatz. In eine frühe Phase der Bauhaus-Rezeption in der DDR führte der Vortrag von Michael Siebenbrodt (Weimar), der von einem unter seiner Beteiligung durchgeführten Projekt zur biografischen Bauhaus-Forschung an der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar in den 1970er-Jahren berichtete. Im zweiten Teil seines Vortrags befasste er sich mit drei Beispielen aus der Anfangszeit des Bauhauses in Weimar: mit Johannes Ilmari Auerbach, dem ersten KPD-Mitglied am Bauhaus, mit Karl Peter Röhl und mit dem von Walter Gropius entworfenen Märzgefallenen-Denkmal, das 1922 in Weimar errichtet wurde. Zum Abschluss gab Karoline Lemke (Dessau) einen Einblick in die Arbeit des Forschungsprojekts „Bauhaus im Text“ und berichtete über die in Vorbereitung befindliche erste kritische Edition der Zeitschrift der Kostufra. Sie erläuterte die Form der Edition und die Art der Kommentierung sowie die Unterschiede, die zwischen der digitalen und der gedruckten Version bestehen werden. Die Referentin stellte unter anderem die Arbeit mit der Software Transkribus vor und beschrieb die Kooperationen, die für die Realisierung der Edition mit der Forschungsstelle für Biografien ehemaliger Bauhaus-Angehöriger und dem Editionenportal Thüringen, das an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena betreut wird, eingegangen worden sind. In der anschließenden Diskussion wurde unter anderem die Frage aufgeworfen, welche Möglichkeiten der Erweiterung die digitale Fassung einer solchen Edition, etwa im Hinblick auf neue Forschungsergebnisse, besitzt.

Die Tagung zeigte anschaulich, welche Vielzahl von methodischen und inhaltlichen Zugängen das nur auf den ersten Blick etwas abgelegen erscheinende Thema bietet. Deutlich wurden die Verbindungen zu anderen Themenfeldern der Kunst-, Architektur- und Kulturgeschichte, der Medienwissenschaften, der politischen Geschichte, der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Andererseits erwies sich, wie Wolfgang Thöner in seinem Schlusswort feststellte, dass Forschungsdesiderate unter anderem auf dem Feld des Biografischen bestehen. Die Frage, wer im Einzelnen zu den Mitgliedern und Sympathisanten der Kostufra am Bauhaus zählte und wie sich dies aus den jeweiligen Lebensläufen erklären lässt, ist bislang noch vielfach unbeantwortet. Ebenso bietet die zeitgenössische Rezeption der Kostufra und ihrer Publikationstätigkeit noch vielfältige Ansätze für interdisziplinär angelegte Forschung.

Andreas Schätzke,
Februar 2022

Digitale Sammlungen, ein Fundstück

Manchmal geben Seiten- und Umwege in den Recherchen aufschlussreiche Einblicke und liefern an ungeahnter Stelle eine zuvor unbekannte Information. In der digitalen Sammlung der Berlinischen Galerie Museum für moderne Kunst findet sich das Faksimile eines Briefs von Peter Foerster an Hannah Höch vom 17. Juli 1927, Berlin. Foerster schreibt darin auch von Ludwig Mies van der Rohe und Ludwig Hilberseimer. Aus diesem Brief wissen wir nun nicht nur, dass Hilberseimer in der Emserstraße (übrigens die Nummer 14) in Berlin-Wilmersdorf lebte und arbeitete, sondern auch in welcher Etage er wohnte: im vierten Stock. Ein schönes und sprechendes Detail, wenn man bedenkt, welche Bedeutung Besonnungsstudien und Raumdurchsonnung in Hilberseimers Lehre und Forschung am Bauhaus spielten.
In seinem Brief zeichnet Foerster in aller Knappheit zwei Porträts der beiden befreundeten Architekten Mies van der Rohe und Hilberseimer:

„Mies ist sehr beschäftigt mit der Werkbundausstellung in Stuttgart. Er hat ja die Oberleitung (ist ja 2. Vorsitzender des Werk-Bundes) und viel Ärger. Am 23. Juli soll eröffnet werden und es ist alles noch sehr im Rückstand. Der ruhige Mies wird kribblig und das passt doch nicht zu seinem Format. (Wissen Sie noch, wie Sie am Potsdamer Platz stehen blieben um sehen zu können wie Mies ‚im Raume steht‘. Hilberseimer, der konsequente Puritaner, hat in der Emserstr. einen 4. Stock als Atelier und Junggesellenheim sehr schön ausgebaut. Er musste aus seiner früheren Wohnung heraus. Seine Frau wohnt am Lietzensee.“
(Brief von Peter Foerster an Hannah Höch. Berlin, 17.07.1927. Sammlung der Berlinischen Galerie, Inventarnummer: BG-HHC K 886/79)

Die vollständige Transkription des Briefes finden Sie hier.

Florian Strob,
Januar 2022

Ausschnitt Plan Mischbebauung

Ludwig Hilberseimer, Mischbebauung von 1930 © bpk / The Art Institute of Chicago / Art Resource, NY, Gift of George E. Danforth

Internationale Tagung zu Ludwig Hilberseimer an der Stiftung Bauhaus Dessau – Ein Bericht

Der Architekt, Stadtplaner, Lehrer und Autor Ludwig Hilberseimer (1885–1967) wird seit einigen Jahren wieder intensiver erforscht. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Bauhaus im Text“ veranstaltete nun die Stiftung Bauhaus Dessau vom 27. bis 29. Oktober 2021 die internationale Tagung „Ludwig Hilberseimer: Infrastructures of Modernity“, die erste wissenschaftliche Konferenz zu Hilberseimer seit den 1980er-Jahren. Zahlreiche Beiträge aus dem In- und Ausland waren infolge des call for papers bei den Organisatoren eingegangen und hatten das große Bedürfnis nach einem grenzübergreifenden Austausch zu Ludwig Hilberseimer offenbart. Barbara Steiner und Florian Strob eröffneten daher die Tagung auch mit dem Ziel, die „Aktualität“ Hilberseimers hervorzuheben und „Modernität neu zu denken durch die Linse Hilberseimers.“

Für die in fünf Panels zu den Themen „City Building Elements“, „Großstadt: German Perspectives“, „Urban Landscapes: US Perspectives“, „Life/Theory“ und „Media Methods“ organisierte Veranstaltung konnten viele der führenden Forscher*innen auf dem Gebiet gewonnen werden, namentlich Christine Mengin, Professorin an der Université de Paris 1 Panthéon-Sorbonne, Philipp Oswalt, ehemaliger Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau und Professor für Architekturtheorie und Design an der Universität Kassel, Charles Waldheim, Architekt, Urbanist und Professor an der Harvard University, und Alison Fisher, Curator of Architecture and Design am Art Institute of Chicago, wo sich der Nachlass von Ludwig Hilberseimer befindet. Als Vertreter der neueren Hilberseimer-Forschung können Plácido González Martínez, Professor für Architektur und Stadtplanung an der Tongji Universität in Shanghai, Alexander Eisenschmidt, Designer und Professor an der University of Illinois, Chicago’s School of Architecture, und Scott Colman von der Rice University School of Architecture in Houston genannt werden. Neuere Zugänge zu den Projekten und Texten sowie zur Rezeption Hilberseimers boten darüber hinaus Robin Schuldenfrei vom Courtauld Institute of Art an der University of London, Anna Vallye vom Connecticut College, Christa Kamleithner von der BTU Cottbus-Senftenberg, Andreas Schätzke und Florian Strob von der Stiftung Bauhaus Dessau, Andreas Buss von der Universität Kassel, und Benedict Clouette von der Columbia University. Nikos Katsikis von der Delft University of Technology, Lutz Robbers von der Jade Hochschule Wilhelmshaven, Oldenburg, Elsfleth, und Sandra Neugärtner von der Universität Erfurt betrachteten Hilberseimer aus interdisziplinärer Perspektive.

Neben spektakulären Archivfunden, etwa im Hilberseimer-Nachlass in Chicago, trat dabei eine fundamental neue Forschungsperspektive zutage, die stark auf die historischen Quellen im Werk Ludwig Hilberseimers fokussiert und dessen vielschichtige Genese rekonstruiert. Im Mittelpunkt der Diskussionen standen die von Hilberseimer geprägten städtebaulichen Konzepte wie die „gemischte Bauweise“, das „settlement unit“ und die „ökologische Denkweise“. Die regionalplanerischen Ideen von Hilberseimer wurden genau analysiert und deren Ursprünge in der Raumtheorie lokalisiert, die von führenden Geografen wie Walter Christaller in der Weimarer Republik sowie nach 1933 im Rahmen der NS-Institutionen entwickelt wurden. Der Einfluss der künstlerisch-literarischen Avantgarde der Zwischenkriegszeit auf Hilberseimer stellte einen weiteren Schwerpunkt der Diskussion dar. Vor allem aber gab es detaillierte Auseinandersetzungen mit den rhetorischen und medialen Aspekten von Hilberseimers „Null-Architektur“ (Philipp Oswalt) und Theorie, mit einem besonderen Augenmerk auf die typologische Dimension seiner Argumentation ebenso wie auf die in den Publikationen verwendeten visuellen Darstellungsmittel.

Besonders interessant war zu sehen, dass Hilberseimer die im Kontext der Weimarer Republik formulierte Theorie der Großstadt in Rückgriff auf realisierte Beispiele aus den USA entwickelte, während er nach seiner Emigration die dort entstandenen Studien zu Stadt- und Regionalplanung mit Hilfe von Konzepten und Methoden sowie von Schemata und Diagrammen formulierte, die er aus Deutschland und Europa mitgebracht hatte. Gelegentlich diente Hilberseimer als Anlass, um ausführlich über Phänomene zu sprechen, die er in seinen Werken rezipiert hatte. Der Gegenwartsbezug der urbanistischen Theorien wurde hervorgehoben, es dominierte jedoch die retrospektive Sicht auf Hilberseimer. Noch eingehender zu betrachten bleibt Ludwig Hilberseimer der Architekt. Die Beiträge der Tagung zu Ludwig Hilberseimer werden 2022 in einem Sammelband in der Reihe „Bauwelt Fundamente“ des Birkhäuser Verlags erscheinen.

Parallel zur Tagung wurde am Abend des 28. Oktobers im Bauhaus Museum das Zwischenspiel mit dem Titel „Ludwig Hilberseimer: Infrastrukturen der Stadt“ eröffnet, das bis zum 6. März 2022 dort zu sehen ist. Florian Strob konzipierte die Ausstellung als eine Brücke von Hilberseimers Anstellung als Lehrer am Bauhaus in Dessau zu seiner Zeit als Lehrer am Chicagoer IIT. Originale Studienarbeiten aus der Sammlung der Stiftung Bauhaus Dessau können neben Reproduktionen von Entwürfen und Dokumenten aus dem reichhaltigen Hilberseimer-Archiv des Art Institute of Chicago betrachtet werden. Sie visualisieren die Entwicklung der Städtebautheorie Ludwig Hilberseimers in den 1930er- und 1940er-Jahren, die sich schließlich in The New City niederschlug. Zu dieser ersten Publikation Hilberseimers im Exil wird im Kontext des Forschungsprojekts „Bauhaus im Text“ eine digtale historisch-kritische Edition erarbeitet und erstmals eine deutschsprachige Übersetzung in Form einer kritischen Leseausgabe herausgegeben.

Laura Gieser,
November 2021

Ausschnitt eines Typoskripts Werbefilm

Roman Clemens, Werbefilm für die Stadt Dessau, Typoskript, 1931, Stiftung Bauhaus Dessau, Schenkung Bernd Freese 2021 (Ausschnitt)

Bauhaus-Texte im Archiv, Teil 2 - Jeder einmal in Dessau!

Dank des Entgegenkommens vieler Institutionen und Einzelpersonen wird das Projekt eines auf Vollständigkeit zielenden Verzeichnisses aller Bauhaus-Texte aus den Jahren 1919–1933 realisierbar. Freundliche Hinweise und professionelle Unterstützung bei der Lokalisierung und Bestimmung von Archivalien, die Zurverfügungstellung von weiterführenden Materialien ebenso wie die Unterstützung vor Ort in Archiven und Sammlungen stellen wesentliche Voraussetzungen für das Zustandekommen dieses Metafindmittels zu den überlieferten historischen Bauhaustexten dar. Dies gilt umso mehr für Dokumente, die sich nicht in öffentlichem Besitz befinden. In Frankfurt am Main lebt Bernd Freese inmitten seiner exquisiten Bauhaus-Sammlung. Er erwies sich schon in vielen anderen Fällen als entgegenkommend, wenn es um die Veröffentlichung seiner Sammlungsobjekte ging. Großzügig sagte er auch unserem Projekt seine Unterstützung zu. Ein außerordentlicher Gewinn für unser Verzeichnis, denn Bernd Freese, der ausschließlich historische Stücke aus der Bauhauszeit sammelt, interessiert sich insbesondere auch für die Publikationen des Bauhauses und für die Bauhaustypografie. Aus diesem Grund fanden seltene Bauhaustexte – Handschriften und Druckwerke gleichermaßen – Eingang in seine Sammlung.

Drei Dokumentenordner, sortiert nach den ehemaligen Standorten des Bauhauses – Weimar, Dessau und Berlin – hat der Sammler im Laufe der Zeit sorgfältig zusammengetragen. Ein Highlight unter den Dessauer Dokumenten stellen sicherlich die Erwerbungen aus dem Nachlass von Roman Clemens (1910–1992) dar. Der gebürtige Dessauer studierte seit 1927 am Bauhaus und trat nach der Grundlehre in die Bühnenwerkstatt bei Oskar Schlemmer ein. Als dieser das Bauhaus verließ, gehörte Clemens zu denjenigen Studierenden, die sich für das Weiterbestehen der „Babü“ einsetzten und skizzierte sogar den Lehrplan für eine „neue Bauhausbühne“. Seit 1930 war Clemens am Bauhaus beurlaubt und arbeitete am Friedrich-Theater in Dessau, wo er das Bühnenbild für zeitgenössische und klassische Theaterstücke gestaltete.

Etwas Glück braucht jede Recherche: So verhalf uns Bernd Freeses Sammelleidenschaft zu einem unverhofften Fund mit Lokalbezug – und offenbarte uns ein bislang unbekannt gebliebenes Filmprojekt von Roman Clemens aus seiner Dessauer Studienzeit.

Mit einem Schreiben, datiert auf den 19. März 1931 und bezugnehmend „auf die Unterredung vom 4. d. Mts.“, überreichte Clemens dem Oberbürgermeister der Stadt und Förderer des Bauhauses, Fritz Hesse, „einen Werbefilm-Entwurf für die Stadt Dessau“. Das maschinengetippte, einseitige Typoskript lässt sich als knappes Drehbuch für einen 15-minütigen Film interpretieren und präsentiert eine Fahrt durch die Stadt. Clemens‘ Stadtbesucher ist kein Flaneur, sondern ein Automobilist, der allerdings hinter der Kamera, die er trägt, verschwindet. Im Sinne der damaligen Filmästhetik ist die Kamera der eigentliche Hauptprotagonist des kurzen Werbefilms. Clemens‘ Entwurf zeigt Dessau als eine Abfolge von bewegten Bildern, wobei sich die Kamera von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit fortbewegt, die ihrerseits durch 19 Titel eingeleitet werden. „Die Einfahrt“ erfolgt „im Süden der Stadt. Kurze Bildschnitte von Gropius-Siedlung, Paulick-Siedlung, Konsum-Neubau bis zum Zentrum. Über das Rondel hinweg zum Verkehrs-Knotenpunkt.“ Weiter geht es durch die Innenstadt: „Bildschnitt vom Geschäftsleben der Askanischen Strasse. Durch die Kavalierstrasse, am Kaufhaus Zeeck vorbei, zum Kaffee ‚Altes Theater‘.“ Es folgen nun mehrere Titel, die an den Aufbau eines Stadtführers erinnern, wie „St. Marien hält Wacht“, „Die alte Residenz“, „Oranienbaum“, „Dessau, das deutsche Kopenhagen“, „Das neue Dessau“, „Dessau, die Fliegerstadt“, „Das Bauhaus“, „Neue Bauten“, „Baumblüte an der Elbe“. Die Werbebotschaft beendet in Form eines Roll-Titels beschwörend den Film: „Kommen Sie nach Dessau, besuchen Sie die alte Residenz – besuchen Sie das neue Dessau, die Metropole formalen Schaffens und des jungen industriellen Aufschwungs.“

1931, als Clemens den filmischen Werbeentwurf vorlegte, wurde der Öffentlichkeit ein neuer Stadtführer zu Dessau präsentiert, eine von der Stadt herausgegebene Broschüre, die das Bauhaus in Zusammenarbeit mit dem Anhaltischen Landeskonservator, kommunalen Kunstberater und Bauhaus-Förderer Ludwig Grote gestaltet hatte. Vielleicht erhoffte sich Clemens mit seinem Werbefilm ein Anknüpfen an dieses gemeinschaftlich betriebene Stadtmarketing. Mit dem Antwortschreiben des Oberbürgermeisters am 27. März 1931 erhielt Clemens jedoch eine Absage von Hesse: „Zu meinem Bedauern lassen sich angesichts der überaus angespannten Finanzlage der Stadt und der sehr ungünstigen Aussichten für die Zukunft Mittel für die Durchführung des Unternehmens zur Zeit nicht beschaffen. Die Stadt kann augenblicklich den Gedanken nicht weiterverfolgen. Den Entwurf erlaube ich mir wieder beizufügen.“ Die Zeiten wurden härter, nicht nur für das Bauhaus und seine Angehörigen und nicht nur in Dessau. Clemens fand dennoch bald eine neue Beschäftigung, diesmal jedoch in der Schweiz, als Ausstattungsleiter am Stadttheater Zürich.

Der Titel ebenso wie die Schlussworte des 15-minütigen Werbefilms von Roman Clemens sollten lauten: „JEDER EINMAL IN DESSAU“. Ein Film, der nie gedreht wurde und der noch umgesetzt werden könnte … sollte? Doch was würde er heutzutage zeigen, worauf würde er fokussieren? Wie ließe sich der vergangene Entwurf in der Gegenwart der Stadt verorten? Über inspirierende Funde dieser Art werden wir gern wieder berichten!

Laura Gieser,
Oktober 2021

Ausschnitt eines Beiratprotokolls von 1933

Ausschnitt eines Beiratsprotokolls von 1933, Stiftung Bauhaus Dessau, I 8385/1-2 D

Bauhaus-Texte im Archiv, Teil 1

Das Herzstück des Dessauer Pilotprojekts „Bauhaus im Text“ ist – neben zwei exemplarischen Editionen – ein digitales Verzeichnis aller gedruckten und ungedruckten Schriftquellen, die von 1919 bis 1933 am Bauhaus entstanden oder von Bauhausangehörigen verfasst wurden. Mit diesem Meta-Findmittel wird das Grundgerüst für weiterführende Forschungs- und Editionsarbeiten zum textlichen Erbe des Bauhauses geschaffen.

Ein wesentlicher Aspekt der Recherchen zu den Bauhaus-Archivalien besteht in der Lokalisierung der Dokumente. Historisch und institutionell bedingt befinden sich schriftliche Quellen zum Bauhaus heute an vielen Standorten in der ganzen Welt. Eine geschlossene Überlieferung gibt es nicht. Allein in Dessau, wo das Bauhaus am längsten existierte, werden relevante Archivalien in mindestens drei verschiedenen Institutionen aufbewahrt. Sammlung und Archiv der Stiftung Bauhaus Dessau wurden parallel seit 1976 sukzessive aufgebaut. Viele der schriftlichen Zeugnisse gehen auf (Teil-)Nachlässe von Bauhäuslern und Bauhäuslerinnen zurück. Die erhaltenen Unterrichtsmitschriften von Studierenden gehören zweifellos zu den Höhepunkten der Dokumentensammlung der Stiftung. Demgegenüber verfügt das Stadtarchiv Dessau über eine Teildokumentation amtlicher Quellen aus den Akten des Magistrats der Stadt Dessau. Aus ihnen lassen sich die Belange des Bauhauses als einer städtischen Institution rekonstruieren, zu deren wichtigsten Förderern der Oberbürgermeister Fritz Hesse gehörte. Eine Besonderheit der Sammlung im Stadtarchiv ist die sogenannte „Zellersche Sammlung“, eine für die gesellschaftlichen Kontroversen rund um das Bauhaus aufschlussreiche Auswahl von Artikeln aus der zeitgenössischen regionalen Presse. Schließlich können im Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Dessau, unter anderem spezifische Quellen zu einzelnen Personen und Familien der Region recherchiert werden, die mit dem Bauhaus in Verbindung standen.

Die Nützlichkeit und das Desiderat eines umfassenden, digitalen und öffentlich zugänglichen Findmittels zu den historischen Schriftquellen des Bauhauses versteht sich heutzutage fast von selbst. Teilweise stehen bereits jetzt wichtige digitale Findmittel zur Verfügung, um Vorrecherchen aus der Ferne zu betreiben. Die Bestände des Bauhaus-Archivs Berlin ebenso wie die anderer Einrichtungen sind in einem beträchtlichen Umfang über den Kalliope-Verbund recherchierbar. Ein Teil der Korrespondenz von Walter Gropius wurde im Rahmen des Pilotprojekts „open archive walter gropius“ des Bauhaus-Archivs Berlin digitalisiert und kann auf der Webseite eingesehen werden. Institutionen wie das Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar haben darüber hinaus wesentliche Vorarbeiten geleistet, indem sie unter anderem ihre Bestände zum Staatlichen Bauhaus Weimar komplett digitalisiert und öffentlich zur Verfügung gestellt haben . Viele andere bedeutende Institutionen und Modellprojekte im In- und Ausland, die hier genannt werden könnten, zeigen, dass nicht zuletzt infolge der Digitalisierung von Bibliotheks- und Archivbeständen das Thema der „Bauhaus-Texte“ zunehmend in den Fokus rückt. Mit dem an der Stiftung Bauhaus Dessau entstehenden Meta-Findmittel zu den historischen Bauhaus-Quellen werden die unterschiedlichen Standorte – Archive, Sammlungen, Bibliotheken – zusammengeführt. Die relevanten Texte werden entsprechend der international geltenden Standards verzeichnet sowie thematisch und standortübergreifend aufgelistet. Alle Dokumente mit institutionellem Bezug – etwa Verwaltungsakten oder Studierenden- und Prüfungszeugnisse – sollen ebenso sichtbar gemacht werden wie die überlieferten personenbezogenen Dokumente – etwa Entwürfe für Vorträge oder Manuskripte und andere Vorstufen zu Publikationen. Während Letztere für die Öffentlichkeit bestimmt waren, ermöglichen die Texte aus den Archiven einen Blick hinter die Kulissen des historischen Bauhauses. Sie offenbaren interne Prozesse und Strukturen und bringen auch bisher weitgehend unbekannt gebliebene Namen von Beteiligten zum Vorschein. Sie ermöglichen eine umfassendere Annäherung an die Veröffentlichungen der Schule und ihrer Angehörigen, indem sie die Entwicklungsstufen eines Textes aufzeigen, aber auch Antworten auf Fragen nach der Autorschaft, nach den benutzten Werkzeugen und anderen, spezifischen Kontexten geben können.

Laura Gieser,
Juni 2021

Vom Schreibmaschinenmodell zum Typoskript

Walter Gropius hatte eine Perkeo der Firma Clemens Müller A.G. Dresden, die Redaktion der bauhaus-Zeitschrift bekam ein Modell der Firma Adler geliehen und auch die Zeitschrift kommunistischer Studierender am Bauhaus wurde auf einer geschrieben. Die Rede ist von der Schreibmaschine. Das Modell, das Gropius Mitte der 1920er Jahre auf seinem Schreibtisch im Dessauer Direktorenwohnhaus stehen hatte, ist durch eine Fotografie seines Arbeitsplatzes von Lucia Moholy überliefert. Ein entsprechendes Objekt befindet sich in der Sammlung der Stiftung Bauhaus Dessau. Die „überlassung der adler-schreibmaschine incl. tisch“ geht aus dem Durchschlag eines Briefs von Hannes Meyer an Mira Lührs vom 16. Mai 1928 aus dem Stadtarchiv Dessau hervor. Die Frau des Dessauer Stadtrats Armin Lührs engagierte sich wie ihr Mann für den „kreis der freunde des bauhauses“, deren Mitglieder sie waren.

Die Etablierung der Schreibmaschine in deutschen Büros zu Beginn des 20. Jahrhunderts veränderte nicht nur die Zusammensetzung des schreibenden Personals. Mit der Entwicklung von kleineren Modellen, wie z. B. Reiseschreibmaschinen, hielt das neue Schreibwerkzeug Einzug in private Haushalte und war beliebt bei Schriftsteller innen, Reporter innen und Privatleuten. Das bedeutet jedoch nicht, dass Schreibmaschinen für jeden erschwinglich waren.
Bei der Zeitschrift der Kommunistischen Studentenfraktion bauhaus. organ der kostufra. sprachrohr der studierenden handelt es sich um eine flugblattähnliche Textsammlung, die mittels Schreibmaschine aufs Papier gebracht und hektographiert wurde. Das war eine technisch-organisatorische, eine Zeit- und vor allem eine Kostenfrage. Nur so konnte gewährleistet werden, dass die Zeitschrift im Verkauf für die Bauhaus-Studierenden erschwinglich blieb. Die Vervielfältigung erfolgte entsprechend nicht in der hauseigenen Druckwerkstatt, sondern bei der lokalen KPD-Ortsgruppe. Hier verliert sich die Suche nach dem Modell, auf dem die Druckvorlagen der anonymen Kostufra-Texte gefertigt wurden, in Mutmaßungen. War das Büro der Dessauer KPD-Ortsgruppe mit einem solchen Schreibgerät ausgestattet? Oder besaß Paul Kmiec, der für einige der Ausgaben verantwortlich zeichnet, als Leiter des Parteiunterbezirks der KPD in Dessau eine Maschine, die er den Studierenden zur Verfügung stellte? Wer fertigte die Abschriften an? Wer verfasste die Texte?

Anhand von Textbefunden, die ich während der Transkription mit Transkribus, einem für alte Handschriften entwickelten Programm, von der Stiftung Bauhaus Dessau vorliegenden Heftnummern erstellte, lassen sich vorläufige Aussagen über Layout, Verschreibungen und Schreibende machen. Stand inhaltlich das Bauhaus im Mittelpunkt der Berichterstattung, da insbesondere die Belange von Studierenden und lokalpolitische Themen rund ums Bauhaus diskutiert wurden, war die Zeitschrift aus ästhetischer Sicht weit davon entfernt. Die konsequent verwendete Kleinschrift erinnert noch an das Credo der Zeitersparnis als Teil der Bauhaus-Gestaltungsprinzipien für Printprodukte. So werden ausschließlich Zitate aus anderen Printmedien mit Groß- und Kleinschreibung wiedergegeben. Nicht zu vergessen das von Joost Schmidt für die offizielle bauhaus-Zeitschrift entworfene Coverdesign, wie es in den ersten Ausgaben der Kostufra-Zeitschrift adaptiert wurde. Das Layout hat jedoch nur wenig mit dem einer Zeitschrift gemein. Lediglich das Titelblatt mit Titel, Inhaltsverzeichnis und Verkaufspreis lässt erkennen, worum es sich handelt. Die sich anschließenden, einseitig bedruckten, mit Klammern gehefteten Blätter sind, mit geringfügigen Absätzen, Trennlinien sowie Unterbrechungen in Form von eingefügten Zeichnungen, durchweg mit linksbündigem Fließtext gestaltet. Gelegentlich verschobene Textblöcke, verrutschte oder verschwommene Zeilen sind dem Vervielfältigungsverfahren geschuldet bzw. auf schlecht eingespannte Papier- und Durchschlagbögen zurückzuführen. Die Hektographie ist ein sogenannter Matrizen- bzw. Spiritusumdruck, bei dem entweder mit Durchschlagpapier (Blaupause) oder einer mit einer entsprechenden Lösung versehenen Matrize der Originaltext auf saugfähiges Papier durchgedrückt wird. Das Verfahren erlaubte 4 bis 5 Durchschläge pro Abschrift, unter Verwendung eines Hektographen oder einer Matrizenpresse sogar 100 bis 200 Abzüge von derselben Matrize.

Im Unterschied zur Texterkennung bei Handschriften, ob manuell oder mittels eines Algorithmus, erlaubt die Analyse eines Typoskripts ohne Angaben eines Autors/einer Autorin, nur wenige Rückschlüsse auf die schreibende Person. Fotografien aus der Sammlung legen nahe, dass beispielsweise Walter Gropius seine Perkeo keineswegs immer selbst bediente, sondern eine seiner Sekretärinnen diese Aufgabe übernahm, wenn nicht sogar Ise Gropius. Häufige Verschreibungen, über Rechtschreibfehler hinaus, lassen sich auf die Tastenbelegung der Schreibmaschine zurückführen und können Aufschluss über die Versiertheit des einzelnen (Ab-)Schreibenden (10-Fingerschreibweise, Tempo u. ä.) geben. Klassisch sind auch im Fall der Kostufra die Ver- bzw. Überschreibung von g und h, g und b, e und w oder e und r. Die Zahl der Verschreibungen variiert von Ausgabe zu Ausgabe. Ob sich daraus schließen ließe, dass verschiedene Bauhaus-Studierende die Vervielfältigung der Zeitschrift unterstützten, wäre auch hier reine Spekulation. Sinnvoll wäre sicherlich der Vergleich verschiedener Exemplare einer Heftnummer. Welches Schreibmaschinenmodell dabei zum Einsatz kam, bleibt jedoch vorerst ungeklärt. Ein Indiz, im Abgleich mit dem Material, wäre die Untersuchung von Abnutzungserscheinungen, die bei jeder Maschine einzigartig sind.

Karoline Lemke,
Mai 2021

The New City

The New City, Covercut

Die Verfertigung einer Theorie beim Schreiben

Ludwig Hilberseimer entwickelte am Bauhaus Dessau ab 1929 die Grundlagen seiner späteren städtebaulichen Theorien. 1944 veröffentlichte er mit The New City. Principles of Planning in Chicago sein erstes Buch in englischer Sprache. Erst 1938 war Hilberseimer in die USA emigriert, erlernte dort die englische Sprache und begann bald danach seine Stadtbautheorien vom Deutschen ins Englische zu übertragen.

Wie ist The New City also entstanden? Welche Rolle spielten Exil und Sprachwechsel dabei, welche möglicherweise die lange Entstehungszeit? In welchem Verhältnis stehen Text und Bild zueinander? Immerhin verfügt The New City über 142 schwarzweiße Abbildungen. Was wird gezeigt und woher stammt das Bildmaterial?

Diese Fragen gehören zu jenen, die unsere Arbeit an der historisch-kritischen Edition von The New City maßgeblich leiten. Methodisch richten wir uns dabei nach den Standards der Editionsphilologie, die in den vergangenen Jahrzehnten neue Impulse aus den digitalen Bedingungen der wissenschaftlichen Praxis bezogen hat. Von besonderer Bedeutung für The New City ist dabei das textgenetische Verfahren, mit dem der Entstehungsprozess anhand überlieferter Manuskriptvorstufen rekonstruiert und nachvollziehbar gemacht wird.

Wie jeder gute Architekt, der weiß, dass man nicht alles selbst und neu erfinden muss, haben wir uns in der ersten Projektphase mit vergleichbaren Projekten beschäftigt. Doch die Verbindung aus textgenetischer Editionsphilologie und architektur- oder kunsttheoretischem Text ist ungewöhnlich, wie sich herausstellt – und dies erst recht, wenn man nach digitalen Editionen sucht. Wir haben bislang vor allem Faksimileausgaben ohne Einzelstellenkommentare gefunden.

Eine Edition, die uns jedoch in vielerlei Hinsicht vorbildlich erscheint, ist die Edition der Schriften von Gottfried Semper: https://semper.ethz.ch/info. In einem aufschlussreichen Werkstattgespräch haben uns die Kolleginnen der Semper-Ausgabe freundlicherweise an ihren Erfahrungen teilhaben lassen – und uns vielleicht vor so manchem Fallstrick bewahrt. Sie rieten uns zum Beispiel zur Vorsicht, was den Umfang der Kommentare anbelangt. Der Arbeitsumfang mag dabei das eine sein, die Arbeit muss schließlich im Förderzeitraum bewältigt werden. Das andere ist der Sprachgebrauch (in einer Fremdsprache), der – anders als bei literarischen Texten – hier nicht im Vordergrund steht und aufgrund dieses spezifischen Stellenwertes in der Regel nicht kommentiert werden muss.

Das Innovationspotential unseres Vorhabens (wie auch das der Semper-Ausgabe) liegt, meine ich, darin begründet, dass wir uns editionsphilologisch einer Zunft nähern, die ihr Hauptaugenmerk normalerweise nicht aufs Schreiben richtet. Für Architekten wie Städteplaner ist das Wort ein Mittel zum Zweck, ein Werkzeug der Darstellung unter vielen. Mit den zahlreichen erhaltenen Vorstufen von The New City im Nachlass von Hilberseimer stellt sich zudem die Frage, inwiefern das Schreiben für Hilberseimer nicht nur ein Werkzeug der Darstellung, sondern auch der Entwicklung seiner Theorien war.

Wir erarbeiten die Edition von The New City in der Annahme, dass die editionsphilologisch erarbeitete Quelle unabdingbare Grundlage jeder weiteren fundierten Beschäftigung mit einem Text darstellt, und dass diese Grundlage im digitalen Zeitalter nur mit einem pluralistischen Textbegriff überzeugend geschaffen werden kann. Das bedeutet, in der Betonung des Verhältnisses von encodiertem Text und den verschiedenen Textvarianten, den dazu verwendeten Markups, dem Bild als codiertem Metatext und dem Text als Bild in Form eines digitalisierten Faksimiles wird die Vielfalt dessen abgebildet, was unter ‚Text‘ verstanden werden kann.

Doch die Pandemie und ihre Auswirkungen haben uns daran erinnert, dass vor jedem Text eine Erfahrung steht, dass auch im digitalen Zeitalter bestimmte analoge Verfahren unerlässlich bleiben. Besuche in Archiven sind in so manchen Fällen unersetzlich. Und so hoffe ich, dass mit einem Abklingen der Pandemie das Reisen bald wieder möglich sein wird, damit ich für unsere Edition Ludwig Hilberseimers Nachlass im Art Institute of Chicago erneut einsehen kann, um auch die physischen Aspekte des gedruckten Textes in Text übertragen zu können.

Dr. Florian Strob, Leiter der Pilotprojekte Bauhaus im Text
April 2021